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30.06.2022

Der Krieg und die Christen in der Ukraine – Einblicke von Militärpfarrer Dr. Petro Stanko in eine komplizierte Situation

Petro Stanko ist Militärpfarrer in Ingolstadt – und er stammt aus der Ukraine. So kann er als Insider Einblicke in den kriegerischen Konflikt mit Russland geben, und dies tat er bei einem Vortrag im Pfarrheim St. Canisius in Ingolstadt Ringsee.

 

Eingeladen hatte die KAB, und eine stattliche Zahl von interessierten Gästen war gekommen, denen Stanko einen Einblick in die recht komplizierte Situation in der Ukraine gab, die historische, aber insbesondere auch kirchenhistorische Ursachen hat. Stanko erinnerte an die Kiewer Rus, die durch die Taufe von Fürst Wladimir im Jahr 988 den orthodoxen Glauben als Staatsreligion annahm. Kiew war damals das Zentrum des Landes und hatte sehr viele Beziehungen in die westliche Welt, zum Beispiel auch nach Regensburg. Moskau indessen existierte damals noch gar nicht. Die Kiewer Rus jedoch zerfiel durch die Invasion der Mongolen, und gerade in dieser Zeit seien viele aus dem Land in das noch junge Moskau ausgewandert, was nicht zuletzt dazu führte, dass diese Stadt dann immer mehr zum Mittelpunkt des russischen Reiches wurde. Gilt die Taufe Wladimirs als Ursprung der russischen Orthodoxie, so löste sich diese im Lauf der Jahrhunderte mehr und mehr von ihren Kiewer Wurzeln, die wiederum ihren Ursprung in der in Konstantinopel beheimateten byzantinischen Orthodoxie hatten. Als während des Konzils von Florenz der Kiewer Patriarch Isidor auf Wunsch des byzantinischen Kaisers im Jahr 1439 eine Einheit mit der römischen Kirche anstrebte, wurde das unter anderem von Seiten der russischen Orthodoxie unterbunden, und Isidor wanderte ins Gefängnis. Erst 1964 gab es wieder eine Begegnung mit der Orthodoxie durch Papst Paul VI. und den ökumenischen Patriarchen Athenagoras.

Stanko ging auch auf die Situation der Ukraine in der Zeit nach der Oktoberrevolution ein, was ebenfalls den Konflikt mit Russland mit verursacht hat. Der Westen der Ukraine gehörte bis 1939 zu Polen, während der Osten sozialistische Republik der Sowjetunion wurde, in der es – dem Kommunismus entsprechend – kein Privateigentum mehr gab und alles an Ertrag an die Kolchosen abgegeben werden musste. Im polnischen Westen gab es weiterhin Privateigentum, was die Bauern erwirtschafteten, durften sie auch behalten. Das änderte sich 1939, als im Rahmen des Nichtangriffspaktes zwischen Nazi-Deutschland und der Sowjetunion der Westen der Ukraine auch sozialistisch wurde. Insofern haben die Ukrainer den Einmarsch der Deutschen nach dem Bruch des Nichtangriffspaktes als Befreiung erfahren, und viele haben mit den Nazis kollaboriert. Dies sei auch, so Stanko, der tiefere Grund dafür, dass Wladimir Putin die Ukrainer als Faschisten und Nazis bezeichne. Während die Kollaborateure mit den Deutschen viele Russen umbrachten, kam es nach den Eroberungen der Roten Armee dann genauso zur Tötung von Sympathisanten mit der deutschen Wehrmacht.

Die Kirchen indessen waren in der Sowjetunion weitgehend unterdrückt, Sakramente wie Taufen wurden in Privathäusern gespendet. Mit dem Zusammenbruch des Reiches und der Entstehung der Ukraine lebte allerdings der Glauben hier wieder auf. Rund 74 Prozent der Ukrainer gehören der orthodoxen Kirche an, die heute in zwei Patriarchate aufgeteilt ist: die ukrainisch-orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats und die orthodoxe Kirche der Ukraine (Kiewer Patriarchat). Gerade in den Gebieten mit prorussischen Einwohnern wie dem Donbass kommt es, so berichtete Stanko, immer wieder zu Konflikten, weil die Priester für den russischen Patriarchen Kyrill beten, die ukrainische Bevölkerung dagegen protestiert, weil Kyrill Russland unterstützt. Die Ukrainer sagen, dass da für jemand gebetet wird, der auf der Seite jener ist, die ihre Kinder im Krieg töten, und wünschen sich, dem Kiewer Patriarchat anzugehören, was abgelehnt wird. So komme es zu Konflikten, die russenfreundlichen Christen werden bespuckt – und dies werde in Moskau als Angriffe ukrainischer Christen auf die Russen gedeutet.

Im Grunde – so Stanko abschließend – steht die Ukraine für einen religiösen Pluralismus, Kyrill für eine einheitliche Kirche in der Lehre, aber auch in ihrem nationalpolitischen Verständnis entsprechend den Auffassungen Putins.

Text und Bilder: Raymund Fobes