Wie Sprache Gemeinschaft bildet – unter Menschen und mit Gott. Eine (nicht nur) bayerische Zeitreise mit Gerald Huber
Sprache schafft Kommunikation – und Kommunikation „Communio“, also Gemeinschaft. Wie das zusammenhängt, darüber sprach Gerald Huber, Rundfunkjournalist, Historiker, Sprachwissenschaftler und Bayer mit Leib und Seele.
Als der Mensch die Sprache erfand, wurde er zum Gemeinschaftswesen. Dieser Grundgedanke durchzog den kurzweiligen Vortrag von Gerald Huber im vollbesetzten Saal im Erdgeschoss der Ingolstädter Volkshochschule. Huber führte die Hörerinnen und Hörer zunächst rund 12.000 Jahre zurück in die Vergangenheit. Damals begannen die Menschen den Boden zu bebauen, die Menschheitsgeneration der Jäger und Sammler wurde durch die der Landwirte abgelöst. Die Menschen wurden sesshaft. In dieser Zeit breitete sich auch die indoeuropäische Sprache aus, Ursprung unserer Sprachen, und begann sich zu differenzieren. Interessant ist, dass hier auch bereits die Wurzeln für Begriffe grundgelegt sind, die es mit „Gemeinschaft“ zu tun haben. So steht die Wurzel „mn“ für das lateinische Wort für Gemeinschaft „Communio“, aber auch „Gemeinschaft“, „Meinung“ und „gemein“ haben hier ihren Ursprung. Verschiedene Meinungen können zu einer „gemeinen“ Haltung führen, wenn sie von jemandem alle unterschiedslos übernommen werden. Wer aber so denkt, verliert seine Eigenständigkeit, so wie der, der „everybody’s darling“ sein will, am Ende „everybody’s Depp“ ist, wie es eine bayerische Lebensweisheit ausdrückt. Der Gegenpol zu dem in diesem Sinne „gemeinen“ Denken, ist das „ungemeine“ („in-communis“), was wiederum für Eigenständigkeit steht. Tatsächlich besteht eine wirkliche Gemeinschaft aus eigenständig denkenden Menschen, die kommunizieren.
Mit der Sprachfähigkeit, so machte Huber deutlich, entstand im Grunde Kultur. Zunächst war es die „Agrikultur“, Ackerkultur. Das Bebauen von Land hat es stark mit Tätigkeiten zu tun. Und solche Tätigkeiten müssen erlernt werden, dazu braucht es Sprache. Nicht nur beim Erlernen von handwerklichem Tun braucht es das Erinnern. Durch das Erinnern entwickelt sich auch die Fähigkeit zur Reflexion, zum Nachdenken über mich selbst. Wer Sprache hat, hat Geist, vermag sich selbst und die Welt zu begreifen. Und wenn vom Be-greifen die Rede ist, dann ist das Greifen nicht fern, und das erinnert daran, dass auch die Sinne, die Gefühle, zur Sprachbildung einen Beitrag geleistet haben. Der bereits in der Steinzeit geläufige Laut „br“,der an das Gären erinnert, war wohl der Ursprung der Worte Brot und Bier – beides braucht Gärung – , seit Urzeiten Grundnahrungsmittel der Menschen, schon bei den Sumerern und in Bayern bis heute. Der Laut „Kn“ war wohl Ursprung des Wortes „kneten“, weil er sich auch nach dieser Tätigkeit anhört – und weiter entstanden daraus die gut bayerischen „Knödel“. Von Bayern ging es nach Italien; es entstanden die „Gnocchi“ und dort aus wieder zurück nach Österreich, wo die „Nockerln“ kreiert wurden.
Von der durch Sprache bedingten Gemeinschaftsbildung unter Menschen aus ist der Schritt zur Religion, zur Gemeinschaft mit Gott, nicht mehr weit. Huber erinnerte an den Zusammenhang von „Gott“ und „Wort“. Die Schöpfung entstand durch das Wort Gottes, berufene Priester und Propheten verkünden dieses Wort. Gleichzeitig kommt gerade auch in der Religion der „Geist“, das Geistige ins Spiel. So war der Gottesname im Alten Testament, von dem keiner weiß, wie er gesprochen wurde, weil allein der Hohepriester ihn einmal im Jahr am Versöhnungstag unhörbar aussprach, und von dem nur die vier Konsonanten JHWH bekannt waren, wohl ein ausgesprochener Windhauch und symbolisierte den Atem, mithin das Geistige.
Dass Gott direkt mit dem Wort identifiziert wurde, kam wohl über den Hellenismus, also als das griechische Denken Einzug ins Judentum nahm. Aus dieser Perspektive lässt sich dann auch der Anfang des Johannesevangeliums verstehen, das sich der Menschwerdung Gottes über die Aussage nähert: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.“ Anders bei Lukas, wo die Geschichte von der Menschwerdung Jesu mit dem Begriff des „Pneuma“ in Verbindung gebracht – also mit dem „Geist.“ Dieser „Heilige Geist“, das „Pneuma hagion“ wird über Maria kommen, sodass sie schwanger wird, und er ist es, der ihren Sohn Jesus beseelt. So ist Jesus der neue Adam, als Erlöser begabt mit dem Geist Gottes.
Doch zurück zum Wort Gottes aus dem Johannesevangelium. Im Kontakt mit diesem Wort, ergangen durch den Gottesssohn Jesus Christus, kann der Mensch sein Gewissen bilden, den sechsten Sinn, wie Huber deutlich machte. Religion hat es deswegen mit dem Hören auf das Wort Gottes zu tun, genauso auch mit dem Schweigen, also still zu werden, um das Gehörte aufzunehmen. Auf diese Weise erschließt sich der Lebenssinn, und das Wort „Sinn“ hat von seiner indogermanischen Wurzel „sent“ her mit dem „Folgen“, „Gehen“ und „Denden“ zu tun-Es geht also darum, den eigenen Lebensweg im Hören auf die innere Stimme zu entdecken und zu gehen. So zeigt sich auch unser Schicksal, das Los – und der Begriff steht sprachwissenschaftlich wieder in Verbindung mit dem Hören, was im Bairischen deutlich wird, wo das Hören „lusen“ heißt, mit dem gleichen indoeuropäischen Stamm wie das „Los“
So stellt sich für den Menschen die Frage nach dem Sinn als die Frage nach dem Weg: „Welchen Weg gehe ich?“ Und dieser Lebensweg ist dann auch getragen von der Gemeinschaft, von der Kommunikation, die aber das Individuelle letztlich nicht aufhebt. Aber trotzdem gilt es, das Individuelle nicht überzubewerten, denn, so Huber: „Wenn es allen gut geht, geht es auch mir gut.“
Immer wieder machte der Referent auch deutlich, dass dieses in der indoeuropäischen Sprache verwurzelte Gemeinschaftsgefühl gerade in Bayern lebendig ist, wohl auch aufgrund der Zugehörigkeit zum „Imperium Romanum“ in der Antike, wo durch römische Kultur, mithin die auf das Indoeuropäische zurückgehende lateinische Sprache, hier verwurzelt ist. Und das erste Buch in althochdeutscher Sprache, ein lateinsch- althochdeutsches Wörterbuch aus dem Achten Jahrhundert, stammt aus Bayern. Die bayerische Erde, so zeigte Gerald Huber, ist also altes Kulturland, geprägt von der römischen Hochkultur der Antike und Vorreiter in der Entstehung der deutschen Sprache.
Text und Bilder: © Raymund Fobes