Zum Inhalt springen
28.06.2021

Vergebung und Versöhnung – Der Pallottiner und Psychotherapeut Jörg Müller sprach über therapeutische Hilfen bei seelischen Verletzungen

Die meisten Psychotherapien sprechen das Thema „Vergebung“ nicht an. Jörg Müller weiß wovon er spricht, wenn er das kritisiert. Für den Psychotherapeuten, Priester und Pallottinerpater ist das Thema Vergebung ganz zentral. Und viele Menschen, die mit ihren Sorgen zu ihm kommen, kommen auf ihrem Lebensweg wirklich weiter, denn Jörg Müller zeigt echte Perspektiven auf, wie Leben gelingen kann.

Am 26. Juni sprach er darüber bei einem Einkehrtag im Pfarrheim St. Martin in Ingolstadt Mailing. Veranstaltet wurde dieser Tag von der Gemeinschaft „Erneuerung in Glauben“ in Zusammenarbeit mit der Katholischen Erwachsenenbildung.

Wer nicht vergibt, so machte Müller deutlich, wird an den Kränkungen, die er im Leben erfahren hat, krank – Bluthochdruck und Krebserkrankungen können die Folge sein. Dabei bedeutet „Vergeben“ nicht, sich endgültig zu versöhnen. Das ist ein weiterer Schritt, der nicht unbedingt gelingt. Wer vergibt, kann durchaus auch einmal sagen: „Ich vergebe Dir – aber jetzt geh mir aus den Augen!“ Und es kann auch einmal sein, dass man Beziehungen ganz aufgeben muss, weil sie einem nicht gut tun.

Wichtig ist dabei, immer im Hinterkopf zu haben, dass Menschen, die einen kränken, beleidigen, verletzen, selbst verletzt sind. Darum sollte man Kränkungen nicht persönlich nehmen, denn zumeist gehe es um einen anderen oder etwas anderes. Insofern gab Müller auch die Empfehlung, auf Kränkungen zu reagieren mit Fragen wie „Wer hat dich verletzt, dass du mir wehtust?“ oder „Sie haben mich sehr gekränkt – wollen Sie das?“ oder auch „Wenn Sie jetzt sauer sind – habe ich Sie verletzt?“

Entscheidend ist allerdings auch die Fähigkeit, sich selbst zu vergeben und so mit sich selbst versöhnt zu leben. Dann nämlich können mich Beleidigungen anderer nicht mehr wirklich kränken und krank machen, auch wenn eine Versöhnung mit dem anderen nicht möglich ist. Ganz konkret erlernt man diese Fähigkeit, versöhnt mit sich zu leben zum einen dadurch , dass man die eigenen Talente erkennt, anerkennt und auch einsetzt. Müller sagte, dass in Deutschland – unserer Mentalität entsprechend – Eigenlob stinken müsse und ermutigte dazu, sich über die eigenen Talente zu freuen und sich auch einmal selbst zu loben. Ebenso gehöre zu einem Versöhntsein mit sich selbst, die Bereitschaft, sich selbst etwas Gutes zu tun – wozu sogar die Bibel im Buch Jesus Sirach in aller Deutlichkeit auffordert: „Wer sich selbst nichts gönnt, wem kann der Gutes tun? Er wird seinem eigenen Glück nicht begegnen“ (Sir 14, 5).

Als ganz entscheidend stellte Müller auch die Bereitschaft heraus, „Nein“ zu sagen. Es sei wichtig, sich nicht vom anderen ein schlechtes Gewissen einreden zu lassen, wenn man einen Wunsch ablehne. Und bei erpresserischen Formen der Schuldzuweisung müsse man sich auch dazu durchringen zu sagen: „Wenn es dir durch mein ‚Nein‘ schlecht geht – so ist es nicht mein Problem!“ Übrigens – so ergänzte Müller: „Auch Gott kann weh tun.“

Grundsätzlich jedoch zeigte der Pallottiner, dass der Glaube an Gott eine große Hilfe ist, mit Kränkungen und sich daraus ergebenden Lebenskrisen gut klar zu kommen. Er zeigt, dass Gott wirklich vergibt – allerdings zuvor muss ich auch dem anderen vergeben haben. Und am Ende gehöre auch dazu, sich von Gott Versöhnung schenken zu lassen – denn oft genug habe Gott bereits vergeben, nur wir selber uns noch nicht. Das sei übrigens, so Müller, auch wieder ein typisches deutsches Problem, weil wir so sehr auf Leistung fixiert seien, dass wir uns nichts schenken lassen würden. Auch der Kirche attestierte er eine mangelnde Versöhnungsbereitschaft, weil es in ihr immer noch die Exkommunikation anderer gibt.

Und zuletzt: Auch der Humor ist eine echte Hilfe, mit Krisen klarzukommen, machte Müller deutlich.Er selbst ist davon überzeugt, dass auch Gott Humor hat. Und so war bei diesem Einkehrtag ein Gott erfahrbar, der den Menschen wirklich liebt und auch über seine Macken herzhaft lachen kann.

 

Text und Bilder: © Raymund Fobes