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27.11.2024

Schaukelnd durchs Leben – Philosophische Impulse von Wilhelm Schmid

Dass Schaukeln etwas mit Lebenskunst zu tun haben soll, mag auf den ersten Blick befremdlich sein. Doch der Philosoph Wilhelm Schmid zeigte hier einen hilfreichen Zusammenhang auf. Er referierte auf Einladung der KEB Ingolstadt in der Ingolstädter Stadtbücherei.

Als seine erwachsene Tochter Geburtstag feierte, hatte sie einen besonderen Wunsch. Mit den Eltern wollte sie einen Ausflug machen. Weg von der Stadt Berlin, wo sie wohnten, ins Brandenburger Umland, wo die Havel fließt. Und bei ihrem Spaziergang entdeckten sie eine Schaukel, setzten sich darauf und begannen – zu schaukeln.

Wilhelm Schmid hat das inspiriert, tiefere Zusammenhänge zu entdecken. Ist nicht auch das Leben so wie das Schaukeln ein Hin und Her? In seinem Vortrag machte er dann auch deutlich, dass das Leben leichter wird, wenn man es vom Schaukeln her betrachtet. Denn Schaukeln macht Spaß, zumindest als Kinder haben wir es so erfahren, wenn wir auch als Erwachsene das oft vergessen haben, weil Schaukeln eben eine Sache für Kinder ist und sich nur ein verschwindend kleiner Prozentsatz Erwachsener auf eime Schaukel setzt. Übrigens – auch darauf machte Schmid aufmerksam – tut Schaukeln dem Körper gut. Selten werden in kurzer Zeit so viele Muskeln aktiviert.

Was nun den Zusammenhang zwischen Schaukeln und Leben betrifft, so müssen wir uns im Leben immer auch mit inneren und äußeren Widersprüchen auseinandersetzen. Es gibt ein Auf und Ab, ein Hin und Her, Zeiten, in denen wir selbstbewusst sind und solche, in denen wir zweifeln. Zeiten der Ich-Stärke und Zeiten der Ich-Schwäche. Nur sollte man sich beides eingestehen und nicht die Ich-Schwäche zu kaschieren zu versuchen, was zu Hochmut, Arroganz und Egomanie führen kann. Vielmehr ist es wichtig zu wissen: Niemand hat immer Erfolg.

Das Schaukeln kann uns auch helfen, uns bewusst zu werden, dass uns ein Tapetenwechsel guttut – mal weg aus der stressigen Stadt hin aufs ruhige Land und dann wieder zurück in die stressige, aber quirlige Stadt. Aber grundsätzlich gilt, dass das Leben nun doch immer aus freudvollen und schwierigen und frustrierenden Situationen besteht. Hier machte Schmid deutlich, dass zum gelingenden Leben immer zehn Prozent Talent und 90 Prozent Durchhalten, ja Disziplin, gehören. Denn tatsächlich macht die Übung den Meister, doch um dahin zu kommen bräuchte es 10.000 Stunden insgesamt. Mit anderen Worten: Das ganze Leben ist Lernen. Andererseits kann auch nicht jeder alles, nicht jeder hat überall die zehn Prozent Talent, aber ein jeder irgendwo.

Insofern ist die Selbsteinschätzung wichtig und mit ihr das Maßhalten. Ein Überschuss an Freude tut nicht gut, kann sogar unerträglich werden. Darum ist eben auch eine Balance, ein Hin- und Herschaukeln wichtig. Man darf sich dessen bewusst sein, dass die Glückshormone, die in frohen Stunden zum Tragen kommen und dort gespeichert werden, zwar im Alltag dann wieder abgebaut werden, doch ist es gut, das zuzulassen, denn jedes Pushen mit unseren Alltagsdrogen führt zu einem absoluten Abstieg, Viel besser ist es, den Alltag als Auszeit anzunehmen und Durchhaltevermögen, ja Disziplin wieder einzuüben. Schmid sprach von hochbegabten Menschen, die eine Dissertation im Kopf hatten, denen aber das Durchhaltevermögen fehlten, diese zu Papier zu bringen.

Und zum Alltag gehören dann auch die wirklich alltäglichen Dinge wie Kochen, Bügeln, Wäsche waschen, bei denen kaum Freude aufkommt. Angesichts solcher Tätigkeiten hält es Schmid mit Karl Valentin, der sagte: „Wenn ich mich nicht freue über den Regen, ist er immer noch da – besser ich freu mich über den Regen.

Auch bei der Sexualität, so machte Schmid deutlich, ist es wichtig, Maß zu halten. Und dies überhaupt in unseren Beziehungen. Liebende sollen immer aufeinander zu und dann wieder voneinander weg schaukeln. Und zwar von der Zeit für dich, der „You-Time“, zur Zeit für mich, der „Me-Time“, und wieder zurück. Und bei der „You-Time“ gab Schmid die Empfehlung, sich nicht mit vielen – etwa allen Kindern – zu treffen, sondern mit einem allein, und für ihn oder sie dann wirklich da zu sein, als nur zu vielen lockere Beziehung zu haben.

 Schließlich kommt aber auch einmal der Augenblick, wo unsere Lebensschaukel endet, wenn wir abspringen müssen, weil wir sterben.

Doch da setzt Schmid ein „Aber“ dahinter. Als er sein Buchprojekt über das Schaukeln begeistert seiner Frau vorstellen wollte, freute diese sich zunächst, offenbarte dann aber ihrem Mann, dass ihr kurz zuvor vom Arzt eine tödliche Diagnose gestellt wurde: unheilbarer Speiseröhrenkrebs. Drei Jahre blieben dem glücklichen Ehepaar noch, dann starb Schmids Frau, am Heiligen Abend um 19.19 Uhr. Seitdem geschieht aber etwas Eigentümliches. Immer wieder erlebt Wilhelm Schmid, dass seine Frau ihm ganz nah ist – und für ihn sind das keine Halluzinationen. Er ist überzeugt, dass ihre seelische Energie weiterlebt und ihn auch kontaktiert, eine Erfahrung, die nach seiner Auskunft auch andere mit Verstorbenen machen. Und Schmid denkt das konsequent weiter. Vielleicht schaukeln wir Menschen irgendwann wieder von diesem Energiezustand in einen Körper zurück durch eine Wiedergeburt und Reinkarnation …

Text und Bild: Raymund Fobes