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24.04.2023

Radikale Strukturreformen gegen den Missbrauch – Wolfgang F. Rothe sprach in St. Anton

 

Das System vertuscht weiter. Dr. Wolfgang F. Rothe, Pfarrvikar in München und Autor des Buches „Missbrauchte Kirche“, ist enttäuscht über die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals in der Katholischen Kirche. Im voll besetzten Pfarrheim von Ingolstadt-St. Anton sprach er auf Einladung der Katholischen Erwachsenenbildung.

Rothes Auseinandersetzung mit sexuellem und spirituellem Missbrauch in der Kirche ist stark biographisch geprägt. In einer konservativ geprägten Pfarrei im Sauerland aufgewachsen begann er in Würzburg mit dem Theologiestudium und wechselte dann nach Eichstätt. Dort kam er mit konservativ geprägten kirchlichen Gruppierungen in Kontakt, die sich vor allem an der strengen Sexualmoral orientierten, die Papst Johannes Paul II. in seinen Katechesen zur „Theologie des Leibes“ verkündete.

Rothe war damals voll und ganz auf der Seite des Papstes, machte allerdings in dieser Zeit auch die Erfahrung, zu Entscheidungen gedrängt zu werden, die er nicht mittragen wollte, was ihm dann mehr oder weniger als Widerstand gegen den Heiligen Geist ausgelegt wurde.

Zum Priesterwurde Rothe für das österreichische Bistum St. Pölten geweiht und war Sekretär von Bischof Kurt Krenn, der ihn zum Subregens seines Priesterseminars berief, eine Aufgabe, die er nur ungern annahm. Hier kam es im Jahr 2004 zu einem Skandal, als pornographisches Material auf öffentlichen Computern auftauchte. Rothe berichtete, dass er damals alles zur Aufdeckung des Skandals getan hatte, sagte aber auch, dass es ihm damals nicht um die Opfer, sondern allein um das Ansehen der Kirche gegangen sei – eine Haltung, die er heute zutiefst bedauerte.

Zum Konflikt kam es mit dem Apostolischen Visitator und späteren Bischof des Bistums Klaus Küng. In einem kontroversen Gespräch, so Rothe, habe er einen Schwächeanfall bekommen, woraufhin Küng, approbierter Arzt, ihm ein Psychopharmakon verabreicht und ihn danach unsittlich berührt habe. Rothe hat daraufhin eine Flasche Wein geleert, was dazu führte, dass er aufgrund der dramatischen Wechselwirkung von Medikament und Alkohol aus dem Fenster seiner Wohnung stürzte und sich die Hand brach. Das Verhältnis zu Küng war seit diesen Ereignissen zerrüttet, der Bischof – so Rothe – wollte ihn fortan loswerden, etwa durch einen psychologischen Test, der seine Homosexualität feststellen sollte. Rothe selbst ging mit diesen Erlebnissen später an die Öffentlichkeit, zunächst versuchte er aber das Bistum St. Pölten und den Vatikan von ihrer Wahrheit zu überzeugen – die Vorwürfe wurden dort als haltlos abgelehnt. Auch Altbischof Küng klagte gegen Rothes Vorwürfe gegen ihn in seinem Buch „Missbrauchte Kirche“, seine Klage wurde aber zurückgewiesen.

All diese Erfahrungen brachten Rothe, der sich selbst als homosexueller Priester outete, nun zu der Erkenntnis, dass ein grundlegender Wandel in der Kirche nötig sei, damit künftig Missbrauch, sei es spiritueller oder sexueller, keine Chance mehr hat. Dabei betonte er zunächst einmal, dass in der Botschaft Jesu die Sexualität gar nicht den großen Stellenwert hatte, den sie in manchen Kreisen heute hat. Auch die Kirche habe sich lange Zeit kaum mit der Sexualmoral befasst, erstmals mit der Enzyklika „Casti connubii“ von Papst Pius XI. Fahrt nahm die Auseinandersetzung auf, als die kirchliche Sexualmoral nicht mehr der Moral entsprach, die die Gesellschaft verkündete – im Kontext der sogenannten 68er-Revolution Ende der 1960er-Jahre. Da Homosexualität bis dahin in der Gesellschaft verboten war, seien, so die These Rothes, viele Homosexuelle in den Priesterstand ausgewichen, weil sie dort mir ihrer Neigung leben konnten, ohne gesellschaftlich gebrandmarkt zu sein. Die Abnahme der Priesterberufungen nach der Liberalisierung der Homosexualität sieht Rothe gerade darin begründet. Ebenso nimmt er an, dass eine große Zahl der Priester auch heute homosexuell ist, was sich darin zeige, dass die meisten Missbrauchsopfer männlich seien. Das solle aber nach Rothe nicht zur Folge haben, dass der Priesterberuf für Homosexuelle tabu sei. Den Grund für den Missbrauch sieht er darin, dass der Pflichtzölibat zu einer unkontrollierten Sexualität führt. Dabei lehnt Rothe die zölibatäre Lebensweise nicht rundweg ab, sondern findet sie durchaus wertvoll, wenn sie denn freiwillig angenommen wird wie etwa bei Ordensleuten. Einen verpflichtenden Zölibat lehnt er indessen ab, zumal auch nach Rothes Auffassung die Gründe dafür durchaus vage sind. Ging es bei der Einführung des Zölibats im Mittelalter vor allem darum, dass das Erbe von Priestern der Kirche zukomme, so argumentiere man heute damit, dass die Ehelosigkeit der Weg Jesu und der Apostel gewesen sei, den auch der Priester gehen solle. Aber ob Jesus und die Apostel wirklich ehelos gelebt hätten, ließe sich aus der Bibel nicht belegen. Für ähnlich haltlos hält Rothe die Argumente gegen das Frauenpriestertum. Dass Christus als Mann einer weiblichen Kirche gegenüberstehe und deshalb der Priester männlich sein müsse sei kein tragfähiges Argument.

Bei der sich anschließenden Diskussion wurde sehr viel Resignation gegenüber der katholischen Kirche erkennbar. So mancher war bereits ausgetreten – anderen zogen es in Erwägung, Teilnehmer/innen, die durchaus tief verwurzelt im Glauben an Jesus Christus waren, sich aber im Raum der katholischen Kirche nicht mehr beheimatet fühlten. Rudi Schmidt, Geschäftsführer der KEB, indessen machte Mut zum Bleiben: Kleine Schrauben zum Besseren könnten auch in der Kirche noch gedreht werden. Es gebe also Grund zur Hoffnung.

Text und Bild: Raymund Fobes