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23.10.2016

Offen und selbstbewusst – Islamwissenschaftler Tamer über den Umgang mit dem Islam hierzulande

Was will der Islam, wie sollen wir den Muslimen in unserem Land begegnen – mit Argwohn oder mit herzlicher Unvoreingenommenheit? Diese Fragen beschäftigen die Menschen hierzulande – ganz besonders jetzt, wo große Flüchtlingsströme aus dem Nahen Osten zu uns kommen. Diesen brennenden Fragen ging Georges Tamer, Professor für Orientalische Philologie und Islamwissenschaften in Erlangen in einem Vortrag nach.

Gekommen war er auf Einladung der Katholischen Erwachsenenbildung und des Evangelischen Forums und lenkte so gerade auch den Blick auf den Auftrag des Christen in dieser Situation. Auch weil der ursprünglich aus dem Libanon stammende Georges Tamer selbst dem Christentum angehört. Er bekennt sich zur antiochenisch-orthodoxen Kirche.

Ist der Islam für Deutschland eine Gefahr?, fragte Tamer und gab darauf sehr differenzierte Antworten. Gleichzeitig zeigte er auf, wie man den Dialog mit – radikalen – Muslimen führen muss, um gefährlichen Ansichten die Stirn zu bieten.

Zunächst wies Tamer darauf hin, dass in Deutschland sieben Millionen Muslime auf eine Bevölkerung von 87 Millionen kommen – das sind also weniger als zehn Prozent. Insofern ist rein aus der demographischen Perspektive derzeit nicht zu befürchten, dass Deutschland ein islamischer Staat wird. Gleichwohl könnte sich das aber längerfristig ändern, wenn die einheimischen Familien nicht mehr Kinder bekommen, denn die Kinderzahl muslimischer Familien der ersten Generation ist ungleich höher. Bei Familien, die in der dritten Generation in Deutschland sind, ist die Kinderzahl allerdings ähnlich niedrig wie bei deutschen Familien.

Im Hinblick auf den Umgang mit den Werten der westlichen Welt sieht Tamer grundsätzlich auch keine Gefahr durch den Islam. Die meisten, die aus den islamischen Ländern nach Deutschland kommen, kommen ja gerade, weil sie die Werte Deutschlands wie Freiheit und Wohlstand schätzen. Dennoch muss ein Migrationsprozess selbstbewusst geschehen. Tamer warnte vor Anbiederung. Notwendig sei jedoch eine Haltung der Liebe und Aufgeschlossenheit. Hier seien gerade die Christen die richtigen Gesprächspartner, weil das Christentum die Religion der Liebe ist. „Hören wir als Christen auf zu lieben, sind wir keine Christen mehr“, sagte Tamer. Wichtig zu Integration ist so eine Wertevermittlung, die positiv, aufgeschlossen und selbstbewusst geschehen muss. Fordern und Herausfordern gehört auch dazu, es  soll aber nicht um Überzeugungsversuche für das Christentum gehen, sondern es geht mehr darum, dass die Muslime positive Erfahrungen mit Christen machen. Hierzu sei es auch nötig, fundamentalistischen Gruppen, die den Koran als ewig gültiges Gotteswort verstehen, zu verdeutlichen, dass manche Suren – besonders jene, die zum Krieg und Hass gegen die Ungläubigen aufrufen – zeitbezogen gelesen werden müssen und keinesfalls göttliche Aufträge für unsere Zeit sind. In der Diskussion machte Tamer deutlich, dass Muslime, die sich hierzulande für eine Einführung der Scharia einsetzen würden, seiner Ansicht nach das Land verlassen müssten. Ebenfalls kritisierte es der christliche Islamwissenschaftler heftig, als ein Zuhörer davon berichtete, dass an einer Schule im katholischen Religionsunterricht die Schüler ein islamisches Gebet  auswendig lernen mussten.

Auch auf die Weltlage des Islams lenkte Tamer seinen Blick und erklärte, dass der „IS“ ohne den Einmarsch der US-Amerikaner im Irak im Jahr 2003 nicht entstanden wäre. Eine Weltmacht, die sich christlich nenne, trage die Schuld an dieser Entwicklung. Außerdem wies der Islamwissenschaftler darauf hin, dass es auch weltweit immer mehr Gelehrte gebe, die den Koran mehr historisch und zeitbezogen lesen. Zwar sei das eine sehr zähe Entwicklung, aber es tue sich etwas.

Tamers Vortrag bestach vor allem durch seine differenzierte Betrachtung jenseits von übertriebener Beschönigung und falscher Panikmache. Deutlich wurde vor allem: Ein überzeugend gelebtes Christentum als Religion der Liebe und positiven Wertschätzung, das aber auch seine Werte selbstbewusst vertritt, ist unerlässlich für eine gelungene Integration der Muslime hierzulande.

Text und Bilder: Raymund Fobes