Geschichte und Schicksal der Russlanddeutschen: Vortrag von Militärpfarrer Petro Stanko
Sie bilden auch in Ingolstadt eine Mehrheit bei den Spätaussiedlern: die Russlanddeutschen. Über sie sprach der aus der Ukraine stammende Ingolstädter Militärpfarrer Petro Stanko in der Pfarrei St. Canisius auf Einladung der KAB und der Katholischen Erwaxchsenenbildung.
Die Geschichte der Russlanddeutschen, so wusste Petro Stanko zu berichten, begann schon im Mittelalter. Um das Jahr 1200 nahmen die Mitglieder der Hanse, einer Handelsgemeinschaft, die vor allem, aber nicht nur aus den Städten rund um Nord- und Ostsee kamen, Kontakt zu den Händlern im russischen Nowgorod auf, wo es einen regen Austausch von Waren gab. Später, im 16. Jahrhundert, war es dann Zar Iwan IV. (der Schreckliche oder Strenge), der aus Deutschland Baumeister, Ärzte und Offiziere ins Land rief. Die Soldaten unterstützten als „Mineure“ den Zaren bei der Eroberung der Gebiete rund um die Wolga, wodurch für Russland der Weg nach Sibirien frei wurde.
Die eigentliche Immigration von Deutschen nach Russland geschah aber im 18. Jahrhundert unter Zar Peter dem Großen und der Zarin Katharina II., die Deutschland sehr zugetan waren. Den Einwanderern wurden viele Privilegien gegeben: Befreiung vom Militärdienst (weshalb viele Mennoniten kamen, die aus religiösen Gründen den Wehrdienst ablehnten), dann die Selbstverwaltung auf lokaler Ebene, eine finanzielle Starthilfe und 30 Jahre lang Steuerfreiheit. Die Deutschen galten als tüchtig, gerade die Mennoniten als fähige Landwirte. Die Einwanderer siedelten sich vor allem an der Wolga oder im Süden des Landes am Schwarzen Meer an.
Bis zum Jahr 1871 hatten die Deutschen diese Privilegien, dann wendete sich das Blatt. Im Land wuchs die Angst vor einer Germanisierung. Zar Alexander III. vertrat die Auffassung, dass Russland den Russen gehören müsse. Die Privilegien wurden abgeschafft, die Wehrpflicht eingeführt, was dazu führte, dass vor allem die Mennoniten nach Kanada auswanderten. Viele Wolgadeutsche zogen nach Argentinien.
Im Jahr 1891 wurden die Deutschen dazu verpflichtet, russisch zu lernen. Trotz der Einschränkungen wohnten 1897 noch viele Deutsche in Russland: 390-000 an der Wolga, 342.000 im Süden des Landes, in der Krim und am Schwarzen Meer, 237.000 im Westen und 18.000 in Moskau-
Mit der Oktoberrevolution und dem Sieg des Kommunismus verschlimmerte sich die Situation weiter. Im Ersten Weltkrieg hatten die Russlanddeutschen im russischen Heer gedient, sie wurden aber verdächtigt, nicht loyal zu sein. Der Hungersnot nach dem Ersten Weltkrieg in den Jahren 1921 bis 1923 fielen rund 120.000 Wolgadeutsche zum Opfer, insgesamt waren es 3, 5 Millionen Russen.
Nach der Revolution hatte Lenin zunächst den Russlanddeutschen das Privileg gegeben, in einer autonomen Sowjetrepublik zu leben, in der ihnen eine gewisse Selbstorganisation möglich war, dies allerdings unter kommunistischen Vorgaben, das heißt, es gab für die Landwirte die Verpflichtung zu Zwangsabgaben. Das verschlimmerte sich unter dem Regime Stalins, wo es zu einer Zwangskollektivierung allen Eigentums kam. Grundsätzlich galt jeder, der zu viel besaß, als Feind und musste mit Arbeitslager oder Tod rechnen.
Dabei wurden auch viele Geistliche ermordet. 1937 wurden die letzten deutschen Kirchen geschlossen – das religiöse Leben kam zum Erliegen.
Den Säuberungsaktionen Stalins fielen bei drei bis elf Millionen Menschen, darunter 350.000 Russlanddeutsche zum Opfer.
Schon durch die Machtergreifung Hitlers in Deutschland wurden die Russlanddeutschen als Feinde angesehen. Das verschärfte sich mit dem Angriff der Deutschen auf die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg. Alle Deutschen die nicht in den von Deutschen besetzten Gebieten lebten, wurden nach Kasachstan oder Sibirien verbannt. Viele verhungerten und erfroren ohne Unterkunft dort in den Steppen im harten Winter 1941/42.
Insgesamt kamen zwischen 1942 und 1956 300.000 Russlanddeutsche ums Leben. Mit dem Tod Stalins verbesserte sich die Situation leicht. Die Deutschen konnten Sibirien verlassen, durften sich aber nicht mehr in den Gebieten ansiedeln, in denen sie früher gewohnt hatten. 1964 kam es zu einer Teilrehabilitierung, und seit 1975 ist die Remigration der Russlanddeutschen in ihre deutsche Heimat möglich. Bis zum Jahr 2012 sind 4, 5 Millionen der Russlanddeutschen als Spätaussiedler zurückgekehrt. Dank der zehnten Überarbeitung des Bundesvertriebenengesetzes kommen seit 2013 jährlich 6.000 bis 9.000 Spätaussiedler aus den ehemaligen sowjetischen Staaten nach Deutschland.
Dass sich die Integration nicht so ganz einfach gestaltet liegt auch daran, dass sie sich mit der deutschen Sprache schwertun, weil sie in Russland kein Deutsch lernen durften. Allerdings beleben die Russlanddeutschen aufgrund ihrer Sportlichkeit, die in der Sowjetunion sehr wichtig war, die Sportvereine – und ebenso leben sie auch eine tiefe Religiosität.
Dass man es Ausländer, auch als Ukrainer, in Deutschland nicht immer leicht hat, erlebt auch Militärpfarrer Stanko. Mitunter erfährt auch er Ablehnung. Umso herzlicher war der Empfang in St. Canisius.
Text und Bilder: © Raymund Fobes