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03.06.2016

Militärdekan Michael Gmelch: Auch Jesus war auf der Flucht

Michael Gmelch hat beruflich schon so einiges gemacht: Klinikseelsorger, Priester für die deutschsprachigen Gemeinden in Indien und Militärseelsorger, unter anderem auf dem berühmten Marineschulschiff Gorch Fock. All das hat den Eichstätter Diözesanpriester und jetzigen Leiter der Militärseelsorge in Flensburg geprägt.

Im Krankenhaus hat er Empathie gelernt, das Einfühlen in den Patienten, und in Indien mit seiner christlichen Minderheit den interreligiösen Dialog, der in seinen Augen unerlässlich ist, weil die meisten Probleme wie Gerechtigkeit, Frieden und der Umgang mit Ressourcen religiös angegangen werden müssen – immerhin gehören fünf Milliarden der aus sechs Milliarden bestehenden Weltbevölkerung einer Religion an. Die Gorch Fock schließlich steht für Gmelchs Einsatz für Flüchtlinge. Mit Soldaten der Deutschen Bundeswehr war er unterwegs und hat Menschen auf der Flucht vor dem Ertrinken bewahrt. Die Bundeswehr war im Mai 2015 zur Seenotrettung in den Einsatz gerufen worden, und Gmelch sollte die Soldaten als psychologisch geschulter Seelsorger begleiten – immerhin war damit zu rechnen, dass Leichen geborgen werden mussten, und aus diesem Grund war natürlich seelsorglicher Beistand angesagt.

Als die Marine sich den Flüchtlingsbooten näherte, war Gmelch plötzlich mitten drin. Im Schutzanzug – man hatte Angst, die Flüchtlinge würden an hochansteckenden Krankheiten leiden – leistet er Hilfe, und erlebt, mit welcher Ehrfurcht die Geretteten aufs Marineschiff kommen. „Die Schuhe hatten sie ausgezogen, manche hatten Rosenkränze dabei und die Moslems fragten, wo Osten ist, um in diese Richtung zu beten“, erzählt er beim Vortrag. Und zeigt Bilder von offenbar fröhlichen Kindern nach der Rettung. Das soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass viele der Flüchtlinge traumatisiert sind. Diese Traumata treten aber oft genug erst viel später zutage und zeigen sich auch in aggressivem Verhalten. Und Gmelch schließt nicht auch, dass auch bei Übergriffen durch die Flüchtlinge hierzulande möglicherweise solche Spättraumatisierungen, für die die Betroffenen übrigens meistens nur mit großen Schwierigkeiten einen Therapieplatz finden, wie ein Zuhörer aus dem Publikum einwarf, eine Rolle spielen.

Gmelch spricht auch über Lampedusa, die kleine Insel, nicht weit von Tunesien. Auch dort ist er gewesen. Auf der Insel ist 365 Tage im Jahr ein „Tag der Flüchtlinge.“ Täglich kommen sie hier an – oft genug werden Leichen angeschwemmt. Und Gmelch erzählt von dem Schreiner Francesco Tuccio, der aus den Bootwracks Kreuze zimmert und so ein Kreuz Papst Franziskus zukommen lassen will – mit der Einladung, die Insel zu besuchen. Tatsächlich kommt der Papst, es wird seine erste Reise als Kirchenoberhaupt sein. Und er setzt Zeichen, dass für die Kirche die Flüchtlingsfrage künftig Chefsache sein wird, meint Gmelch. Und führt dazu auch theologische Gründe an – etwa wenn er an die Flucht der Heiligen Familie nach Ägypten erinnert, als dem Jesuskind der Tod durch den Despoten Herodes droht. „Auch Jesus war ein Flüchtlingskind mit Migrationshintergrund“, sagt der Militärseelsorger. Aber er verweist auch darauf, dass die Heilige Familie wieder in die Heimat zurückkehrte, als sich die Lage gebessert hat. „Genau das“, so der Militärdekan, „ist auch der Wunsch der Flüchtlinge heute.“ Dass sie zurückkehren können, wenn die Lage im Heimatland wieder stabil ist.

Schließlich kann Gmelch aus eigener Erfahrung – belegt durch Untersuchungen – auch sagen, dass jene, die konkret Flüchtlinge kennengelernt haben, ein gutes Verhältnis zu ihnen haben. Ressentiments kommen zumeist von jenen, die keinen Kontakt haben. Und der flüchtlingserfahrene Seelsorger sagt auch: „Wer über Stammtischparolen hinausgehen will, muss sich für eine fundierte Diskussion Wissen aneignen.“ Impulse dazu hat Gmelch gegeben. Mehr Informationen finden sich in seinem Buch „Refugees Welcome. Eine Herausforderung für Christen“.

Text und Bilder: © Raymund Fobes, Stadtkirche Ingolstadt