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21.10.2016

Lebenshilfe durch das Kino – Impulse von Pierre Stutz

Zwei- bis dreimal im Monat gehe er ins Kino, sagt Pierre Stutz – und für ihn ist es immer ein Gewinn, denn (gute) Filme können Lebenshilfe sein. Im Pfarrsaal St. Anton in Ingolstadt sprach der Theologe und spirituelle Begleiter aus der Schweiz auf Einladung der Katholischen Erwachsenenbildung.

Das erste Mal besuchte Stutz, Jahrgang 1953 und aufgewachsen auf dem Land, Mitte der 1960er Jahre ein Kino und sah sich „Winnetou III“ an  – und er weinte bitterlich, als der Apatschenhäuptling starb. Der zweite Film, den er besuchte, war „Zur Sache Schätzchen“, der Kultfilm über das Halbstarkenmilieu Mitte der 60er Jahre.

Als Schüler schließlich bei den Schulbrüdern bekam er 1968 dann einen Religionslehrer, der in ihm richtig die Freude am Film geweckt hat. Dieser Pädagoge ging mit den Jugendlichen regelmäßig ins Kino – nichtzwingend in Jesus-Filme, sondern in die Streifen, die so gerade liefen, erinnert sich Stutz.

Mehr und mehr machte er die Erfahrung, dass Kino Lebenhilfe sein kann – und es kann auch zur Spiritualität beitragen, wobei Pierre Stutz einen weiten Begriff von Spiritualität vertritt. Allerdings kann die Lust auf Kino auch zur Gefahr werden, dann nämlich, wenn man sich allzu sehr mit den Stars und Sternchen identifiziert, denn Ziel des gelingenden Lebens ist es doch immer auch, ich selbst zu sein.

Sieben Ermutigungen für so ein gelingendes Leben aus dem großen Fundus des Kinos gab Pierre Stutz an diesem Abend – zunächst: „Bleib bei dir und sammle dich“, und da erinnerte er an ein Wort von Karl Valentin: „Heute besuche ich mich und schaue, ob ich zuhause bin.“

Dann Ermutigung Zwei: „Du bist mehr als deine Verletzungen“. Und da kann es hilfreich sein, alles einmal aus einer anderen Perspektive anzuschauen, so wie es der früh und durch Suizid gestorbene Robin Williams tat, als er im Film „Club der Toten Dichter“ auf einen Tisch stieg. „Stellen Sie sich mal auf den Küchentisch“, empfahl Pierre Stutz, den Zuhörern, „und Sie merken, Sie sind mehr als der Dschungel in Ihrer Küche.“ Und er zeigte einen Ausschnitt aus dem Film „Timbuktu“, wo es um die Bevölkerung von Timbuktu in Mali geht, die von Islamisten unterdrückt wird. Als ihnen das Fußballspiel verboten wird, da spielen sie einfach ohne Ball weiter und machen gymnastische Übungen, als die Unterdrücker zur Kontrolle kommen.

Die dritte Ermutigung war „Erwache zum Träumen“. Hier erinnerte Stutz an Dom Helder Camaras Ausspruch: „Wenn einer allein träumt, ist es nur ein Traum. Wenn viele gemeinsam träumen, ist das der Anfang einer neuen Wirklichkeit.“ Genau das verwies auch wieder auf die Szene aus „Timbuktu“. Da taten sich mehrere zusammen, um den Traum von Freiheit zu träumen, indem sie sich raffiniert zum Fußballspiel ohne Ball versammelten – und es gelang ihnen, Freiheit zu leben.

Ermutigung Nummer Vier war eine Ermutigung zum Humor. „Humor und der Einsatz für Menschenrechte schließen sich nicht aus“, machte Stutz deutlich. Und dabei erinnerte er nicht nur an Charlie Chaplin, der in seinen Filmen sehr tiefe Aussagen über den Menschen machte, sondern auch an eine Weisheit des Kirchenvaters Hieronymus: „Lache nicht über jemand, der zwei Schritte zurückgeht  - es könnte ein Anlauf sein.“

Die fünfte Ermutigung war, Widerstände zuzulassen und an Verwundungen zu wachsen. Stutz zeigte einen Ausschnitt aus dem Film „Kirschblüten  - Hanami“ mit Elmar Wepper und Hannelore Elsner. Sie spielen das Ehepaar Rudi und Trudi, er ist schwer krank, doch sie stirbt plötzlich vor ihm. Und Rudi zieht nach Japan, um sich dort den großen Wunsch seiner verstorbenen Frau zu erfüllen: ein „Butoh-Tanz“ am Berg Fuji. Tatsächlich tanzt Rudi diesen Tanz an dem See vor dem Berg, und in einer Vision tanzt seine Frau mit ihm – ein Bild für einen konstruktiven Umgang mit der Trauer.

Die sechste Ermutigung  war: „Gestehe dir das Scheitern zu.“ Und hier stellte Stutz den finnischen Regisseur Aki Kurasmäki vor, dessen Filme zwar nie ein Happy-end hatten, aber dennoch sehr anschaulich zeigen, wie einfache, „kleine Leute“ ihr Leben meistern.

Die letzte Ermutigung war „Sag ja zu deinem Leben“, und da stellte Pierre Stutz die drei Hauptdarsteller aus dem Film „Vincent will Meer“ vor: Vincent, der am Tourette-Syndrom leidet, die magersüchtige Marie und den zwanghaften Alexander. Die drei fliehen aus einer psychiatrischen Klinik, um das Meer zu sehen. Doch gelangen sie auf einen Berg und entdecken dort ein Gipfelkreuz. Und die Schlussszene des gelungenen Abends mit Pierre Stutz war, dass diese drei oben auf dem Kreuz sitzen und von dort aus das Meer suchen. „Ein ganz neuer Blick auf das Kreuz“, machte Pierre Stutz deutlich, und sicher ein bedenkenswerter.

Raymund Fobes