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31.10.2019

Keine Angst vor dem Tod, er führt zum Leben – Manfred Becker-Huberti über angemessene Totenkulte

Bis zu 20 000 Tote haben Jugendliche heute in ihrem Leben gesehen – doch keine echten. Denn während Mord und Totschlag in Fernsehen, Kino und Internet heftig konsumiert werden, so wird doch der wahre Tod weitgehend verdrängt.

Früher war das anders. Da gehörte der wahre Tod zum Leben, war in der Gesellschaft verankert. Dieses Dilemma machte Prof. Manfred Becker-Huberti, der vielleicht bekannteste christliche Brauchtumsforscher in Deutschland und ehemaliger Pressesprecher der Erzdiözese Köln, in einem Vortrag bei der Katholischen Erwachsenenbildung in Ingolstadt deutlich. So erinnerte er daran, dass in früheren Zeiten an einer Bestattung nicht nur die Familien, sondern auch die gesamte Nachbarschaft beteiligt war. Viele versammelten sich am Sterbebett, und auch die Beisetzung wurde gemeinsam vorbereitet. Überhaupt war der Gräberkult in den Familien sehr verbreitet, und ein gepflegtes Grab und eine anständige Bestattung – man sprach von der „schönen Leich“ – waren Zeichen für eine intakte Familie. Heute gibt es zum einen mehr und mehr die Tendenz zu einer anonymen Bestattung, zum anderen aber auch sehr außergewöhnliche Wünsche, beigesetzt zu werden. So ließ die früh verstorbene Schauspielerin Carrie Fisher – die Darstellerin der Prinzesin Leia im Kultfilm  „Star Wars“ – ihre Asche in eine Urne in der Form einer Tablette gegen Depressionen füllen, ein Medikament, das sie selbst lange Zeit konsumiert hatte. Oder ein Enkel lässt die Asche der geliebten Großmutter in einen Diamantring einarbeiten, den er immer bei sich haben möchte. Ob allerdings dadurch wirklich eine echte Totenverehrung entstehen kann, stellte Becker-Huberti in Frage – denn: Kann ein Diamantring wirklich ein angemessener Erinnerungsort an einen Toten sein?

Indessen war und ist das Christentum von einer ehrlichen Auseinandersetzung mit dem Tod aus der Perspektive der Hoffnung auf ewiges Leben geprägt. „Man wird geboren, um zu sterben, aber man stirbt, um zu leben“, ist das „Credo“ des Christen, machte Becker-Huberti deutlich. Und erinnerte daran, dass es in früheren Zeiten an Ostern üblich war, eine humorvolle Predigt zu halten –mit dem Ziel, den Tod auszulachen, der durch Christus besiegt worden war. Auch heute greifen Prediger zuweilen diese Praxis wieder auf.

Mit gemischten Gefühlen näherte sich Becker-Huberti dem Phänomen „Halloween“ an. Steht einerseits  die Hoffnung auf ewiges Leben hinter diesem heute vollkommen kommerzialisierten gruseligen Treiben, so wird doch dieses urchristliche Anliegen durch die Gestalt des untoten Bösewichts, der im Mittelpunkt des Festes steht, gehörig verdreht. Jedoch könnte man auch an „Halloween“ in der Seelsorge anknüpfen, wenn man die tieferen Anliegen sowie den Ursprung des Festes (Der Name kommt von „All hallows Evening – Abend vor Allerheiligen“) wieder neu bewusst macht.

Wie weit man heutzutage oftmals von einer wirklichen Kultur der Totenverehrung entfernt ist, wurde in der Diskussion deutlich. Eine Teilnehmerin am Vortrag berichtete davon, dass in einem Beerdigungsinstitut  eine Familie ein Totenhemd ablieferte mit der Erklärung: „Unsere Oma wird wohl demnächst sterben. Bitte übernehmen Sie die Bestattung. Wir gehen jetzt auf Urlaub und kommen wieder, wenn alles vorbei ist.“

Leben als Dasein zum Tode wird von vielen Menschen heute verdrängt. Das Christentum indessen bietet die Chance, dem Tod ins Gesicht zu schauen – weil er nicht totales „Aus“ ist, sondern Übergang in ein neues erfüllendes Leben. Das zeigte der von Hoffnung geprägte und mithin trostspendende Vortrag von Manfred Becker-Huberti allemal, nicht zuletzt an einem schönen Beispiel, das er aus der Frömmigkeitsgeschichte der frühen Christenheit anführte: Der Verstorbene wurde als Schmetterling dargestellt, der in den Himmel fliegt, der Leib, den er auf Erden zurücklässt, ist der Kokon, aus dem er geschlüpft ist. Und dieser bleibt der Nachwelt als Erinnerung, aber auch als Verweis auf das ewige Leben,  Grund genug, dem toten Körper, der „schönen Leich“ Ehrerbietung zu erweisen.

Text und Bild: Raymund Fobes