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12.10.2017

Im christlichen Glauben gibt es ein ganz großes Potential – Ein Mutmachervortrag von P. Guido Kreppold OFMcap

Ist die Kirche am Ende, das Christentum ein Auslaufmodell – und werden Klöster und Ordensleute bald ganz verschwinden? Die Zeichen scheinen schlecht zu stehen – und doch ist eine Erneuerung möglich. Wege dorthin zeigte Kapuzinerpater Guido Kreppold in einem Vortrag in den Räumlichkeiten der Paulusbuchhandlung Ingolstadt auf. Eingeladen hatten die Katholische Erwachsenenbildung und die Paulusbuchhandlung.

P. Guido lenkte den Blick auf die frühe Kirche – eine Kirche, in der die Getauften Menschen waren, die sich bewusst für Christus entschieden und einen Bekehrungsweg durchgelebt hatten. Sie waren nicht unter Zwang getauft worden, wie es später üblich war, als die Kirche zur Volkskirche geworden war. Und sie waren auch nicht bereits als Kinder getauft worden, ohne eigenen Willen, wie es heute zumeist die Regel  ist. Heute haben wir viele getaufte Heiden, machte P. Guido deutlich.

Ließ man sich vor 50 bis 100 Jahren noch auf die Lehre der Kirche ein – oder taten sie zumindest so (P. Guido erzählte von Männern aus der Landbevölkerung, die einige Zeit während der Messfeier draußen standen, dann wieder fortgingen und ihren Frauen später sagten, sie seien in der Kirche gewesen), so geht der Mensch heute auf Distanz gegenüber Autorität, insbesondere der kirchlichen.

Allerdings habe die Kirche ganz stark von den Schuldgefühlen gelebt, die sie den Menschen machte. Heute funktioniert diese Methode nicht mehr. Die meisten vertreten den Standpunkt: „Ich lasse mir nirgendwo etwas hereinreden.“ Aber sind tatsächlich Gehorsam, Demut und Kreuz die wirklichen Tugenden des Christen? P. Guido schaute auf Franziskus von Assisi, den Dichter des Sonnengesangs. Für ihn waren Freude und Dankbarkeit die entscheidenden Kriterien des Christseins.

Tatsächlich muss der Glauben heute zum einen auf die Autonomie des Menschen Antwort geben, zum anderen aber auch seiner besonderen Beziehung zu Nähe und Distanz Rechnung tragen. Denn die Menschen sehnen sich nach Gemeinschaft einerseits, andererseits aber brauchen sie auch ihre Freiräume, für P. Guido ein Grund, warum viele Ehe scheitern.

Der Kapuziner ist aber überzeugt, dass im Glauben ein sehr großes Potential ist. Allerdings braucht es Gestalten, die diesen Glauben authentisch leben. Unter anderem nannte er Etty Hillesum, eine junge jüdische Frau aus den Niederlanden, die 1943 in Auschwitz ermordet wurde. Im Wissen um ihren sicheren Tod im Vernichtungslager schrieb sie: „Der Tod erweitert das Leben. Das Leben ist schön, voller Sinn und wert, gelebt zu werden.“ Etty Hillesum hatte lange Zeit mit dem Psychotherapeuten Julius Spier Kontakt, der aus der Schule von Carl Gustav Jung kam – und für Jung war das Religiöse ganz zentral für das Leben der menschlichen Seele.

Überhaupt lehrt uns die Psychologie, so P. Guido, dass wir religiösen Fragen und Themen nicht in erster Linie mit Argumenten beikommen können. Vielmehr geht es hier um existentielle Dinge und damit um Emotionen, die vom Unbewussten her gesteuert sind. Insofern sind auch rationale Gottesbeweise kaum eine Hilfe zur Glaubensfindung, wichtig ist, dass ich mich persönlich betreffen lasse. Eine entscheidende Voraussetzung ist aber auch, den anderen wirklich zu akzeptieren und wertzuschätzen – ihn im Gespräch ganz persönlich zu verstehen und nicht mit allgemeinen erlernten Floskeln abzuspeisen. Bei einem Konflikt können darum auch keine vorgefertigten aufgedrückten Lösungen helfen, sondern sie müssen im Miteinander gesucht und gefunden werden. Eine vollkommen falsche Haltung ist indessen, so P. Guido: „Man hat für alles eine Erklärung und nimmt nichts ernst.“

Auf diesem Weg der Selbstwerdung ist es aber möglich, Gott zu entdecken, im Bewusstsein, sich selbst zu bestimmen, eine neue Beziehung zu ihm aufzubauen. Die Botschaft Jesu ist: „Sei du dein – und je mehr du du selbst bist, umso mehr bist du mein“, oder, um es mit Paulus auszudrücken: „Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir.“

Ganz praktisch empfahl P. Kreppold die lebendige Auseinandersetzung mit den Träumen zur Selbstwerdung unter den Augen Gottes. Und im Blick auf die Neigung zur Kirchenkritik gab er – auch ganz im Sinn dieser Selbstwerdung diese Empfehlung: „Wenn man Verantwortung abschiebt, geht nichts in der Kirche weiter. Kirche beginnt in mir selbst. Was geht in mir vor?“ Auch wenn man an der Kirche nichts ändern könne – ich selbst kann mich ändern.

Text und Bilder: Raymund Fobes