Zum Inhalt springen
27.10.2021

Die Freude am Sex und die kirchliche Verkündigung – Nachdenkliches von Wunibald Müller

Am 26. Oktober sprach Müller im Pfarrsaal der Pfarrei St. Augustin und ließ erkennen, dass es notwendig und auch not-wendend für die Kirche ist, wenn sie neue Wege in ihrem Verhältnis zur Sexualität beschreitet. Eine kirchliche Sichtweise, Sexualität grundsätzlich negativ zu konnotieren und ihr nur den legitimen Platz in der Ehe zukommen zu lassen, sei – so Müller – nicht nur einengend, sondern auch mitursächlich für den sexuellen Missbrauch. Dabei könne man der Einstellung, dass Sexualität gerade in der festen Beziehung, der Ehe, ihren Platz hat und auf Fruchtbarkeit, also die Gründung der Familie mit Kindern, ausgerichtet ist, durchaus etwas Positives abgewinnen. Es gehe um den Wert der Treue und um das Fruchtbringen. Problematisch sah Müller aber die Exklusivität dieser Sichtweise und warb dafür, auch andere Formen von sexueller Liebe wertzuschätzen, etwa die gleichgeschlechtliche Liebe oder auch sexuelle Beziehungen, in denen es einfach nur um die Lust geht, wenn denn die beteiligten Personen sich einander wirklich respektieren. Gerade auch in der Pubertät sollen Jugendliche ihre erwachende Sexualität annehmen lernen, ja genießen. Im Grunde gehe es darum, die eigene sexuelle Identität zu entdecken, und das kann auch Homo- oder Transsexualität sein. Dieses Kennenlernen und Bejahen der eigenen sexuellen Orientierung sei ganz zentral, denn es berühre – so Müller – den Kern des Menschen. Gerade ein Verdrängen oder Ablehnen dieser Identität führe zu schweren psychischen Problemen – hier liege auch die wesentliche Ursache für den sexuellen Missbrauch.

Anderseits warnte Müller auch davor, den Begriff „Sexualität“ nur auf den genitalen Bereich zu beschränken. Tatsächlich spiele etwa die Sehnsucht nach Intimität und Nähe eine viel bedeutendere Rolle, wie es der US-amerikanische Psychotherapeut Rollo May herausstellte. Und – auch das stellte Müller heraus – die Sexualität ermögliche dem Menschen sogar tiefe transzendentale Erfahrungen, die ekstatische Begegnung mit dem Absoluten, wie sie aus der Mystik bekannt ist. Wer solche sinnliche Erfahrungen mit dem Absoluten für sich als absolut bereichernd erlebt, sei letztlich auch fähig, positiv den Zölibat zu leben – wie etwa der homosexuelle geistliche Schriftsteller Henri Nouwen, der die Gottesnähe dadurch spüren konnte, dass er sich mit dem Apostel Johannes identifizierte, der an der Brust Jesu lag. Gefährlich sei es aber, den die Zölibat als notwendiges Übel anzunehmen oder als Priester die Sexualität zu verdrängen. Müller hielt es auch für sinnvoll, dass ein angehender Priester, der sich für das Zölibat entscheidet, zuvor Erfahrungen mit Sexualität gemacht habe. Allerdings machte er ebenso deutlich, dass die Zölibatsverpflichtung aufgehoben werden sollte, auch weil dann jene Priester, die sich freiwillig und aus echter Überzeugung für das Zölibat entscheiden, glaubwürdig wirken und seinen eigentlichen Wert der priesterlichen Ehelosigkeit aufleuchten lassen.

In der Begegnung mit Menschen, die andere Formen der Sexualität leben, sollten Christen sie so sehen, wie Gott sie sieht – mit einem liebevollen Blick. Gott sieht vor allem das Herz des Menschen, ganz unabhängig von der sexuellen Orientierung. Und wenn wir als Christen diesen liebevollen Blick zu allen Menschen durchhalten, so entdecken wir, dass sie sich alle nach Liebe sehnen. Wir können die Liebe beim anderen entdecken und so auch in uns Liebe spüren. Christen sollen also vor allem das Lieben lernen, und dann – entsprechend einem Satz des heiligen Augustinus, der allerdings die Sexualität für sehr schlecht und zerstörerisch hielt – nach der Haltung leben: „Liebe, und dann tu, was du willst.“

Aus all diesen Gründen forderte Wunibald Müller ein Umdenken der Kirche in ihrer Sexualmoral. Ansätze für ein solches Umdenken sieht er nicht zuletzt bei Papst Franziskus, der empfiehlt, jeden Morgen mit einem Kuss zu beginnen.

 

Text und Bilder: Raymund Fobes